18. August 2010

Das ewige Jetzt

In einem interessanten Blog-Eintrag entwickelt meine Freundin Pandoria einen Gedanken zum ewigen Jetzt. Dabei ging mir folgendes durch den Kopf:

Ein ewiges Jetzt ist für mich ein interessantes Konstrukt, von dem ich nicht weiß, ob ich es angenehem oder eher beängstigend finden soll. Ich tendiere zu beängstigend, denn es schwingt etwas Konservatives, vielleicht sogar Reaktionäres mit. Vielleicht weil es auch nach "ewig gestrig" klingt, das - wie mir gerade auffällt - eigentlich nur in seiner gebeugten Form "die ewig Gestrigen" oder "ein ewig Gestriger" verwendet wird.

Und das wiederum lässt meine Gedanken weiterwabern zu einer... hehe... gestrigen Begebenheit, bzw. einer Entdeckung, die ich gestern gemacht habe: Die katholische Kirche betreibt eine sehr kleine, aber sehr feine Bibliothek hier um die Ecke, die - gelebte Ökumene! - von allen besucht und genutzt werden darf, so also auch von mir als Protestantin (und mit großer Sicherheit auch von Angehörigen anderer Religionen).

Jedenfalls frequentiere ich die Bibliothek sehr regelmäßig, verfügt sie doch über ein ansehnliches literarisches Angebot, eine Rampe mit Geländer, an dem Kinder während der Büchersuche fröhlich turnen und auf die Nase fliegen können, freundliche, ehrenamtliche, alte Damen als Personal und den Vorteil, dass dies alles wenig bekannt ist im Viertel... vermutlich denken alle aufgeklärt-intellektuell-dynamischen Jung-Kölner: "Eine Gemeinde-Bücherei, und dann auch noch katholisch, pah!! Dafür bin ich viel zu aufgekärt, intellektuell und dynamisch!". Jedenfalls ist es dort selten voll und die Bestseller, die quasi pünktlich zum Erscheinungstag dort im Regal stehen, sind nicht Wochen im Vor- und Nachhinein vorbestellt, sondern, ja, stehen eben dort im Regal und harren ihrer Entleihung.

Die Bibliothek bekommt auch viele Bücher geschenkt, und die werden dann, wenn fürs Ausleihen ungeeignet, für ein paar Cent verkauft. Natürlich stöbere ich dort immer und kaufe auch fast immer, was den Hauptgrund meines Bibliotheksbesuchs (nicht noch mehr Bücher kaufen und irgendwo lagern müssen) konterkariert. Und gestern entdeckte ich dann eine kleine blaue Fibel mit Namen "Lieder, die wir einst sangen" - mitten im Regal mit den populärhistorischen Werken (genau genommen zwischen "Bankiers unterm Hakenkreuz und Guido Knopps "Wehrmacht").

Da es mich natürlich interessierte, wer was wann ("einst?") sang, blätterte ich das Büchlein durch, und - ich habe keine Zeugen, würde es aber beschwören - mir standen die Haare zu Berge!! Ein Nazi-Lied nach dem anderen! Soldaten-Kameradschaft, Volksromantik, braune Suppe durch und durch. Direkt an erster Stelle das "Deutschlandlied" mit allen drei Strophen; gefolgt von noch mehr schauerlichen und Gott sei Dank längst verdrängten Weisen. Kotz! Brech! Schüttel!

Wer verlegt so etwas? Wer gibt so etwas heraus? Wer sammelt so etwas? Ein Blick auf die erste Seite klärte mich auf: Herausgegeben vom Bundesverband der Soldaten der ehemaligen Waffen-SS!! Aaaaaaaaaah!!!!

Ich nahm das Buch an mich - ich wollte es den Bibliotheksdamen zeigen und um seine Auslistung bitten... oder notfalls selbst kaufen und feierlich im Altpaper verschwinden lassen. Dann setzte ich - das Liederbuch in der Hand - meinen Bibliotheksbesuch fort, fand noch ein, zwei Kaufbücher, ein paar zum Ausleihen, ein paar Kinderbücher... jedenfalls legte ich dann den ganzen Stapel auf den Thresen und musste mich direkt abwenden, weil sich meine jüngste Tochter zum Sturm auf die Kinderbuch-Ecke blies. Als ich dann nach getanem Für-Ordnung-Sorgen wieder zum Thresen kam, blätterte die Bibliotheksoma gerade in besagtem Liederbuch und sah mich sehr sehr misstrauisch an. Erst jetzt fiel mir ein, meinen Fund zu kommentieren und um die Entfernung des Buches (die auch umgehend erfolgte) zu bitten.

Ich hoffe, ich habe dabei nicht wüst gestottert. Und ich vertraue einfach mal darauf, dass ich nicht aussehe wie eine... da hammers wieder - ewig Gestrige, die derartige Bücher kauft, um die blonde Kinderschar dazu mit der Gitarre zu begleiten. Doch, darauf vertraue ich. Peinlich war's aber dennoch irgendwie.

10. August 2010