29. März 2006

Fußballwurst

Ich mache mir allergrößte Sorgen um meine geistige Gesundheit, sollte ich noch eine Woche länger in diesem Land verweilen – wovon leider auszugehen ist.

Dafür gibt es – auch hier bleibe ich meinen beliebten a,b,c-Listen treu – genau drei Gründe:

a) Ich KANN keine Fußbälle mehr sehen

b) Ich kann JETZT SCHON keine Fußbälle mehr sehen, und die Weltmeisterschaft beginnt doch erst in 71 Tagen (und - für die Pedanten, die es zweifellos auch unter den Fußballfans gibt – zwei Stunden und neun Minuten!)

c) Ich kann keine FIRMEN mehr sehen, die mit Fußball und allem was dazugehört, werben.

Mein allerempfindlichster Punkt ist c). Warum um alles in der Welt muss plötzlich jedes, aber wirklich JEDES Unternehmen in irgendeiner Weise mit Fußbällen oder fußballähnlichen Metaphern, Symbolen, Slogans oder Bildern werben? Oder gar die eigene Produktpalette um fußballerische SKUs erweitern?

Den Vogel abgeschossen hat (bislang! Lassen wir uns überraschen, was uns in den nächsten 71 Tagen noch alles erwartet!) eindeutig der mittelständische Wurstmacher Reinert, der sich selbst gerne als "Privat-Fleischerei" bezeichnet. Mit diesem gewollt familiären Zusatz des Unternehmensnamens fängt das Übel bereits an.

Keinesfalls bin ich dem Fleischgenuss abgeneigt; im Gegenteil - fahlgesichtigen Vegetariern, die strengblickend mein Mitleid mit den armen Tieren fordern, bringe ich größtes Unverständnis entgegen. Doch bei Privat-Fleischerei muss ich unweigerlich an den Kannibalen von Rotenburg an der Fulda denken, an zwielichtige Internetforen und widerwärtige Vorlieben (was zugegebenermaßen wohl daran liegt, dass ich dieses fiese Stern-Interview damals bis zum Ende durchgelesen habe).

Aber es wird noch schlimmer: Besagte Privat-Fleischerei bringt pünktlich ("zum Fest" hätte ich fast geschrieben) Mini-Würstchen in Fußballform heraus! WAS in aller Welt soll denn bitte das? Welcher verzweifelte Reinert-Produktmanager hat mit dieser Idee versucht, beim Junior-Chef zu punkten? Oder waren gar Drogen im Spiel? Muss man bei Produktmanagern von Privat-Fleischereien tatsächlich von einer ähnlich offenen Haltung gegenüber bewusstseinserweiternden Chemikalien ausgehen wie bei Werbern und Supermodels?

Ganz ehrlich, und so leid es mir für die kinderreichen Ehefrauen der ansonsten sicher hochanständigen Reinert-Produktmanager tut – ich vermute, dass dem so ist. Selbst die Ansässigkeit des Unternehmens in einem so unberührt anmutenden Dörflein wie "Mittel-Loxten bei Versmold" kann darüber nicht hinwegtäuschen.

Man werfe einen Blick auf die entsprechende Website und überzeuge sich selbst. Dort steht nämlich folgendes:

"Eine Snack-Neuheit ist da! Reinert SNÄKX Mini-Würstchen im originellen Fußballdesign in der praktischen 2x75g-Tiefziehschale"

Liebe Würstchenwillis, was um Himmels Willen ist denn bitte eine Tiefziehschale? Was soll denn das? Vergesst es! Wir Konsumenten haben seinerzeit dem bescheuerten "Göffel" keine Beachtung geschenkt, wir haben den "Milch-Jieper" nicht in unseren Sprachgebrauch aufgenommen; die Liste der im Nichts versandeten Werbe-Neologismen ist endlos – warum in aller Welt versucht Ihr, uns eine Tiefziehschale anzudrehen? Und noch dazu eine mit Fußballwurstkugeln darin? Das wird nichts, so glaubt es doch!

Aber es kommt noch dicker:

"Reinert SNÄKX Mini-Würstchen schmecken sowohl kalt – direkt aus der praktischen und einzigartigen Fußballpackung, die man einfach zum Snacken auf den Tisch stellen kann – …"

Na, wer hat's gemerkt – nur ein Absatz weiter unten, und schon wird die praktische Tiefziehschale zur praktischen und einzigartigen Fußballpackung! Eine Wandlung in nur fünf Zeilen. Was ist denn eine Fußballpackung? Eine Tiefziehschale habe ich nicht verstanden, aber unter eine Fußballpackung stelle ich mir eine Packung vor, in der ein Fußball vom Hersteller zum Handel (zum PoS, liebe Werber, falls Ihr noch lest und nicht schon wieder am Koksen seid) transportiert wird. Man kennt das ja von den Tetra-Paks: Logistisch gesehen sind eckige Packungen stets von Vorteil, da sie sich leichter transportieren und lagern lassen. Aber werden Fußbälle nicht unaufgepumpt geliefert? Und wieso in aller Welt soll man eine Fußballpackung voller Rundwürstel zum Snacken auf den Tisch stellen? Sollen wir etwa so nebenbei beim Betrachten eines Fußballspiels 75-gramm-weise Würstchen schnabulieren? Na prima, ich freue mich jetzt schon auf jede Menge RTL-Exclusiv-Reportagen über übergewichtige Kinder!

Und das war auch noch nicht alles:

"… – als auch heiß: pur oder in Eintöpfen und Suppen, die ein bisschen Fußballspaß und leckere Einlagen brauchen."

Abgesehen davon, dass das geschulte Auge Minuskeln nach dem Doppelpunkt als unschön empfindet (auch wenn sie laut Wahrig an dieser Stelle verwendet werden kann), springt uns hier doch schon die nächste Kuriosität an. Eintöpfe und Suppen, die ein bisschen Fußballspaß und leckere Einlagen brauchen? Nun, sicher hat jeder bereits diese oder eine ähnliche Situation erlebt: Man hat es sich am heimischen Esstisch gerade vor einem dampfenden Wirsingeintopf bequem gemacht und beabsichtigt, eine spannende RTL-Exclusiv-Reportage anzusehen, als plötzlich ein leises Wimmern ertönt. Dann fragt man i.d.R. in den leeren Raum hinein: "Ja, wer weint denn da?" Meist kommt dann die Antwort aus der Schüssel, die man vor sich stehen hat: "Ich! Der Eintopf!"

Auf die Frage, was denn der Grund für die offensichtliche Trauer sei, antwortet der Eintopf im Normalfall dann: "Ich brauche dringend etwas Fußballspaß und leckere Einlagen!"

Klarer Fall, hat jeder schon erlebt. Auch die übliche Reaktion dürfte hinlänglich bekannt sein: Man greift widerwillig zur Fernbedienung und verzichtet zugunsten des Eintopfs auf die spannende Reportage. Wenn der Eintopf Fußballspaß braucht, soll er Fußballspaß haben. Schließlich läuft im Deutschen Fernsehen eigentlich immer irgendwo ein Fußballspiel.

Dann geht man hinüber zum Nachbarn und klingelt. Der Nachbar ist zwar etwas schwerhörig, versteht aber natürlich sofort, worum es geht; schließlich war auch er – wie wir alle – schon das eine oder andere Mal in ebendieser Situation. Er reißt sich seine Lederschuhe von den Füßen, greift beherzt hinein und entnimmt den Schuhen leckere Einlagen, die er einem dann mit gutmütigem Blick überreicht.

Man geht also zurück in die eigene Wohnung, wo der Eintopf vor dem Fernseher sitzt und legt die Einlagen in die dampfende Schüssel. Der Eintopf jauchzt und würde einen – hätte er Arme – sicher liebevoll umhalsen (kleiner Exkurs: Umhalsen ist eindeutig Bestandteil meiner legendären Liste schöner Wörter!)

So trägt es sich im Normalfall zu. Aber was in aller Welt soll denn der Eintopf mit den Wurstkugeln?

rätselt

Tinifeliz

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Sehr geehrte Tinifeliz,

vielen Dank für diesen famosen Beitrag! Nahezu geborsten vor Lachen bin ich bei der Lektüre der Passage über den fußballspaß- und leckere-Einlagen-bedürftigen Eintopf. Am Beginn des genannten Absatzes dachte ich noch „Na, sie wird doch nicht etwa…?!“, und dann hat sie bzw. haben Sie es doch getan und den äußerst missverständlichen Reinert-Slogan eben genüsslich missverstanden und bis in die letzte Einzelheit beim Wort genommen. Gott sei Dank, denn das hat meinen Tag gerettet! Ich werde hier auf jeden Fall und ab sofort regelmäßig vorbeisurfen. Weiter so!

Grüße von Herrn Berger aus B.W.

pandoria hat gesagt…

Als ich gestern Abend köchelnd am Herd stand, hörte ich TATSÄCHLICH ein Wimmern, ganz so, wie du es beschrieben hast! Außer mir war kein Mensch anwesend, wieso mir natürlich sofort dein Beitrag zu Fußballwürsten in den Sinn kam. Ich hob den Deckel des Kochtopfs, fragte die Rosenkohlkügelchen: "Rosenkohlkügelchen, ich weiß, ihr sehnt euch nach Fußballspaß und leckeren Einlagen, stimmt's Wie wär's denn mit ein paar leckeren Fußballwürsten?" Ich hatte nämlich vorsorglich eine Tiefziehschale Fußballwürste vom Lidl geholt. Doch die Rosenkohlkügelchen machten verächtlich "pfffff!" und "paaah!", einige kicherten und wieder andere miauten sogar. Jedenfalls lautete die ablehnende Botschaft ungefähr so: "Wir sind doch selber Kugeln und haben genug Spaß, wozu brauchen wir da Fußballwürste?" - "Ist ja gut, war ja nur ein Vorschlag!" - "Blöder Vorschlag!", piepste das kleinste und vorlauteste Rosenkohlkügelchen.
Ich legte den Deckel wieder auf den Topf, doch das Wimmern wollte nicht aufhören. Ich bückte mich und sah unter die Spüle, wo u.a. der Biomüll sein Lager aufgeschlagen hat. Das Wimmern wurde lauter. Vorsichtig hob ich den Deckel des Biomülleimers an und was sah ich?! EIne Horde aufgebrachter Salatblätter, Nussspelzen, Brotkrümel und Bananenschalen, die alle im Chor winselten: "Wir wollen Fußballspaß und leckere Einlagen!" - "Könnt ihr haben!" sprach ich, glücklich, dass mein Fußballwurstgeschenk doch noch einen Abnehmer gefunden hat.

Anonym hat gesagt…

Der Begriff "Tiefziehschale" scheint wohl ein Begriff aus dem Lebensmittelbereich zu sein. Ich habe es eben gerade auf einer Käseverpackung gefunden. Und wenn man danach in den Suchmaschinen sucht, wird es auf vielen Seiten verwendet - was es genau ist, weiß ich dennoch nicht ;-)

Michael